5 Fragen an den Traumatherapeuten

Menschen aus Bindungstrauma zu helfen ist eine komplexe und herausfordende Tätigkeit.

Und um in diesem Feld wirklich etwas fundamental zu bewirken, reicht es keineswegs aus nur “gut ausgebildet” zu sein.

Wie bei kaum einem anderen Beruf kommt es für eine erfolgreiche Arbeit auf Faktoren an, die nicht einfach zu erlernen sind.

Wie findest du heraus, ob der Therapeut diese Faktoren mitbringt?

Mit Fragen.

Ich zeige dir, welche Fragen du beim Erstgespräch stellen kannst, um herauszufinden, ob der Therapeut dir bei Bindungstrauma wirklich helfen kann.

Frage 1: Sind Sie bereit ehrlich zu mir zu sein, auch wenn es für uns beide unangenehm wird?

Beim Lösen von Bindungstrauma wird man irgendwann an einen Punkt kommen, an welchem eine ehrliche Spiegelung notwendig ist.

Das ist sowohl für den Klienten, als auch für den Therapeuten unangenehm.

Die Frage, ob der Therapeut dennoch ehrlich in den Kontakt gehen wird, zielt darauf ab, ob der Traumatherapeut dazu in der Lage ist seine Kompfort-Zone zum Wohle des Klienten zu verlassen.

Dazu ist es entscheidend, dass der Therapeut seine eigenen Gefühlsräume vollständig geklärt hat. Nicht nur beruflich und nicht nur oberflächlich, sondern grundsätzlich und vollständig.

Um wirklich alles offen, neutral und respektvoll zu kommunizieren, muss der Therapeut restlos kommunikationsfähig sein.

Die eigene Scham, die Schuld, der Stolz, der Geiz, usw. müssen dafür komplett überwunden worden sein.

Wenn das der Fall ist, fallen jegliche Blockaden in der Kommunikation weg und ein vollständig offenes in Kontakt treten wird ermöglicht.

Dann ist der Therapeut dazu befähigt, den Klienten ehrlich zu spiegeln und in vielen Fällen zeigen sich erst dann tiefere, unterdrückte Emotionen wie Wut, Hass, Zorn Scham oder Trauer.

Damit darf dann traumatherapeutisch gearbeitet werden.

Wenn der Therapeut jedoch, auf Grund eines eigenen Bindungstraumas, im Kontakt etwas zurückhält, kann es sein, dass man in der Traumaarbeit niemals zum Kern durchdringt.

Beide, Klient und Therapeut, bleiben in ihrer Kompfort-Zone.

Wenn der Therapeut selbst noch bindungstraumatische Anteile mit sich herumträgt, zeigt sich das in Form von Ängsten im Kontakt. Zum Beispiel:

  • Angst vor Ablehnung

  • Angst vor Konflikten

  • Angst vor Bestrafung

  • Angst Scham oder Schuld zu fühlen

  • existenzielle Ängste

Und diese Ängste verhindern das freie, aufrichtige und unverzerrte in Kontakt treten durch den Therapeuten und damit potenziell auch die Traumaheilung.

Vielen Menschen mit Bindungstrauma fehlt die ehrliche Spiegelung auch grundsätzlich im System, da diese als Kind ausgeblieben ist.

Damit kann sich der Ich-Kern nicht ausreichend entwickeln, mit entsprechenden Folgen. Das darf in der Traumatherapie nachgeholt werden, wenn der Therapeut ehrlich und aufrichtig spiegelt.

Aber auch wenn der Ich-Kern stark ausgebildet ist, kann eine offene, transparente Spiegelung teilweise der einzige Weg sein, um heilsame Denkprozesse zu initiieren.

Frage 2: Wie gehen Sie damit um, wenn sich meine Gefühlsräume aus der Kindheit auf Sie projizieren?

Wie in diesem Artikel besprochen, werden ungelöste Gefühle aus der Kindheit, in einem tiefgreifenden Traumaheilungsprozess, irgendwann auf den Therapeuten projizieren.

Das resultiert in emotional aufgeladenen Ideen wie z.B.:

  • “Ich habe Angst mich abhängig zu machen, deswegen will ich flüchten.”

  • “Ich hasse dich!”

  • “Du kannst mir auch nicht helfen, es ist hoffnungslos.”

  • “Ich bin wütend auf dich und würde dich am liebsten schlagen.”

  • “Du gibst mir zu wenig Bestätigung, Liebe und Aufmerksamkeit. Deswegen bin ich traurig.”

  • “Du machst dich über mich lustig und nimmst mich nicht ernst. Das macht mich wütend”

  • “Du manipulierst mich!”

  • “Du denkst über mich, dass ich dumm bin. Ich fühle Scham.”

Der Klient darf an dieser Stelle darin bestärkt werden diese Ideen offen und neutral zu kommunzieren.

Ja, das ist sowohl für den Klienten, als auch für den Therapeuten unangenehm. Jedoch stellt es gleichzeitig den größtmöglichen Heilungsraum dar.

Der Therapeut muss an dieser Stelle dazu in der Lage sein, die Situation zu nutzen, um Gefühlsräume zu klären, körperlich manifestiertes Trauma abzubauen und Projektionen zu realisieren.

Du kannst den Therapeuten direkt fragen, wie und nach welchen Methoden er das tut.

Aber der entscheidende Faktor ist, dass der Therapeut selbst vollkommen und vollständig kommunikationsfähig, kontaktfähig und bindungsfähig ist. Nur dann kann er mit der auf sich gerichteten Projektion echt, authentisch und ehrlich umgehen.

Wenn der Therapeut selbst nicht vollständig von Bindungstraumafolgen befreit ist, wird er zwangsläufig auf eine der folgenden Weisen reagieren:

  • mit einer Defensivreaktion in Kontakt treten (Manipulieren, Distanzieren, Ignorieren, Angreifen, Unterwerfen)

  • die eigenen Gefühle und Reaktionsimpulse unterdrücken (z.B. so tun, als wenn es nicht tangiert)

  • die Reaktion des Klienten (unbewusst) unterdrücken, z.B. beschwichtigen oder relativieren

Mit all diesen aus Bindungstrauma gespeisten Reaktionsmustern schließt sich der Heilungsraum und eine Chance für eine tiefgreifende Transformation bleibt ungenutzt.

Im schlimmeren Falle kann es an dieser Stelle des Traumaheilungsprozesses zu einer Retraumatisierung kommen. Ein Beispiel dazu:

  1. der Klient projiziert Wut auf den Therapeuten

  2. der Therapeut hat seine eigene Wut nicht integriert und kann daher mit dem Gefühl nicht umgehen. Er reagiert mit Ironie. Die automatische Reaktion des von Bindungstrauma verzerrten Nervensystems.

  3. der Klient wird (unbewusst) daran erinnert, dass er als Kind nicht wütend sein durfte und sich der Vater stets über ihn lustig machte, wenn er wütend war. Es entsteht das Gefühl von Ohnmacht, welches in der Kindheit bereits die einzig mögliche Reaktion des überforderten Systems war. (Retraumatisierung)

  4. der Therapeut ist (auf unterbewusster Ebene) erleichtert, dass er der Wut des Klienten nicht mehr ausgesetzt ist und tritt wieder neutral in den Kontakt

  5. im Nervensystem des Klienten statutiert sich die Überzeugung: “Ich darf nicht wütend sein. Wenn ich wütend bin, macht man sich über mich lustig. Nur wenn ich angespasst und brav bin, nimmt man mich ernst.” Eine katastrophale Therapieentwicklung, die Traumaheilung in weite Ferne rücken lässt.

Ein Therapeut, der seine eigenen Gefühlsräume geklärt und integriert hat und keine bindungstraumatischen Anteile mehr in sich trägt, kann den Heilungsraum dagegen nutzen - wenn er den Raum auch erkennt und weiß wie es geht, versteht sich.

Mehr dazu habe ich in diesem Artikel geschrieben. Nun aber erst einmal zur dritten Frage.

Frage 3: Wie führen Sie Ihre Beziehung?

Ein Mensch, der selbst vollständig von Bindungstrauma geheilt ist, wird:

  • überhaupt eine Beziehung führen (nur Bindungstrauma hält uns von einer Beziehung ab - sorry for the truth bomb 😉)

  • eine stabile und langfristige Partnerschaft leben

  • eine monogame Beziehung führen

  • alle Themen nur innerhalb der Partnerschaft kommunizieren (kein Auslagern)

  • eine Beziehung ohne Konflikte führen (Konflikte beruhen immer nur auf Bindungstrauma, meinen Artikel dazu findest du hier)

  • die Kommunikation größtenteils auf den Austausch innerer Wahrnehmungen beschränken

  • in einer Beziehung leben, die absolut harmonisch und erfüllt ist (kein Mangel, kein Schmerz)

  • alle Bedürfnisse (insbesondere die nach mehr Nähe oder mehr Distanz) offen und frei zu kommunizieren

  • alle Bedürfnisse des Partners neutral hören können, ohne emotionale Reaktion und die Kapazität haben, Bedürfnisse zu erfüllen

  • sich mit dem Partner auf allen drei Ebenen unverzerrt und vollständig verbinden können: körperlich, mental/geistig und auf der Gefühlsebene (“ich kann alles annehmen, ich kann alles geben”)

  • alle (alle alle!) inneren Wahrnehmungen offen kommunizieren können (z.B. Gefühle, Gedanken) - ohne ein Tabu und ohne Angst vor Reaktion, Ablehnung oder Verlust

  • niemals versuchen den Partner zu verändern (keinerlei Manipulation)

  • ein erfülltes Sexualleben mit dem Partner führen, ohne sexuelle Blockaden oder Konflikte

  • es bedarf keinen vertragsartigen Absprachen und Verbindlichkeiten

  • die Partner passen zueinander (gesundes Bindungsmuster)

  • es kam zu einer extremen Vertiefung im Kontakt

  • keine Angst haben vor: zu viel/wenig Nähe, zu viel/wenig Distanz, zu viel/wenig Kontakt, zu viel/wenig Verschmelzung, usw.

Wow. Das klingt für viele Leser jetzt wahrscheinlich wie eine Phastasiegeschichte. So soll also eine Beziehung aussehen, wenn man von Bindungstrauma geheilt ist?

Echt jetzt?

Ja, absolut ja! Der einzige Grund, warum du entweder keine Partnerschaft hast, deine Beziehung die Hölle ist oder du unzufrieden bist, ist, weil du dich noch im Bindungstrauma befindest. Und das ist ja wahrscheinlich auch der Grund, warum du gerade diesen Artikel liest.

Ich kann dir hiermit versichern, dass eine Beziehung ohne Bindungstrauma tatsächlich genauso aussieht.

Aber warum sollte dich denn die Beziehung des Therapeuten interessieren?

Ganz einfach; es ist der ultimative Indikator dafür, dass ein Mensch frei von Bindungstrauma ist.

Und das muss der Therapeut sein, damit er dir aus deinem Bindungstrauma helfen kann.

Wenn der Therapeut also:

  • keine Beziehung führt

  • wechselnde Partnerschaften hat (Vermeider)

  • polyamor ist (Betäuber)

  • denkt, dass er alleine glücklicher ist (Wer’s glaubt…)

  • denkt, dass Partnerschaft kein biologisches Grundbedürfnis des Menschen ist

  • Bindungs- oder Verlustangst hat

  • usw.

dann würde ich diesen Therapeuten nicht für die Lösung meines Bindungstraumas konsultieren.

Genauso wenig würde ich einen Obdachlosen nach Finanztipps befragen.

Frage 4: Werden Sie meine Sabotagemuster erkennen? Wie machen Sie das? Wenn Sie das Sabotagemuster ausfindig gemacht haben, wie gehen Sie dann damit um?

Um als Therapeut zum “Kern” vordringen zu können, also dahin, worum es wirklich geht, muss er das jeweilige Sabotagemuster überwinden.

Dabei handelt es sich um die unbewusste Strategie, die das Bindungstrauma bisher im tiefen Inneren eingeschlossen hat.

Der Traumatherapeut muss natürlich dazu in der Lage sein, dieses Muster zu überwinden.

Dazu ist es zunächst einmal wichtig die Sabotagemuster sofort zu erkennen und nicht darauf reinzufallen oder auch nur darauf einzusteigen. Mögliche Muster sind z.B.:

  • Geschichten erzählen

  • Weinen

  • von den bindungstraumatischen Gefühlsräumen ablenken

  • der Versuch Konflikte zu inszenieren

  • sich wie ein kleines Kind verhalten

  • Trotz

  • Einschüchtern, Dominanz ausstrahlen

  • die Kontrolle über die Therapieinhalte zu übernehmen

  • in irrelevante Gespräche verwickeln

  • einfordern, dass das “innere Kind” getröstet werden soll

  • ständig Fragen stellen, um Gefühlsräume auszublenden

  • Fragen nicht exakt beantworten

  • so tun, als wenn man vergesslich wäre und sich nichts merken kann

  • sabotieren, in dem man keine Folge leistet

  • übertriebene Erwartungen stellen

  • über andere sprechen

  • Externalisierung

  • sich in die Opferrolle begeben

  • keine Eigenverantwortung übernehmen wollen

  • auf Machen, Tun, Planen bestehen (Mehr zu diesem Muster in diesem Artikel hier)

Die Muster haben sich meist über Jahrzehnte im System etabliert. Der Therapeut muss wissen, wie er es schafft das Sabotageprogramm zu überwinden und direkt zum Kern vorzudringen.

Denn nur dann geht es in den vertieften Prozess.

Dazu gehört auch Mut. Und zwar der Mut nicht auf die (i.d.R. unbewussten) Nebelkerzen einzugehen.

Erst dann begegnen sich Therapeut und Klient direkt und das Bindungstrauma wird präsent. Der Heilungsraum öffnet sich und die eigentliche Traumaarbeit am Kern kann beginnen.

Frage 5: Hatten Sie selbst ein Bindungstrauma und wie haben Sie es geheilt? Erzählen Sie mir bitte vom Prozess.

Wenn der Therapeut meint, dass er selbst kein Bindungstrauma gehabt hätte, gibt es drei Möglichkeiten:

  1. er sagt die Unwahrheit

  2. er hatte wirklich kein Bindungstrauma und damit keine persönliche Erfahrung

  3. er ist sich seines Bindungstraumas gar nicht bewusst

Alle drei Möglichkeiten schließen aus meiner Sicht aus, dass der Therapeut bei Bindungstrauma helfen kann.

Ich persönlich würde nur einen Therapeuten konsultieren, der selbst durch den gesamten Prozess der Traumaheilung gegangen ist.

Bindungstrauma ist nicht mit drei Sitzungen beim Therapeuten vollständig gelöst und auch nicht mit 3 Jahren+ Psychotherapie.

Tatsache ist, dass die vollständige Heilung von Bildungstrauma ein langjähriger und stets fortschreitender Prozess ist, der erst in einer vertieften Beziehung wirklich möglich ist.

Was wir Therapeuten in der Traumatherapie tun können ist:

  • eine grundlegende und oberflächliche Lösung von Bindungstrauma zu bewirken (das reicht für die meisten Menschen, um sich einfach vom Leiden zu befreien. Aber für Therapeuten, die Bindungstrauma adressieren möchten, reicht das nicht.)

  • so bindungsfähig, kommunikationsfähig und kontaktfähig zu werden, um eine Beziehung führen zu können

  • die (mentalen) Blockaden zu überwinden, die Partnerschaft bisher unmöglich gemacht haben

  • die Bindungsmuster zu verändern, die bisher zu negativen Beziehungserfahrungen geführt haben (z.B. mit Narzissten)

  • das Selbstwertgefühl aufzubauen, um unverzerrt in Beziehung gehen zu können

  • die innere Stärke und das Selbstbewusstsein zu entwickeln, zu sich und den eigenen Bedüfnissen zu stehen

  • positive, realistische Referenzerfahrungen von echtem Kontakt zu machen

  • beizubringen, wie man eine Beziehung führt, die dann zu einer vollständigen Traumaheilung führt

  • die richtige Kommunikation dazu zu vermitteln und dies zu trainieren

  • Wahrnehmungsvzerrungen zu lösen (z.B. das Selbstbild, Beziehugen an sich, andere Menschen, usw. betreffend,

  • aus Angst, Wut, Schuld, Scham, Stolz-Verzerrung usw. auszusteigen

  • die Identität zu aktualisieren

  • Resonanz für einen passenden Partner aufzubauen

  • die Wirkung verändern, so dass sich die Beziehungsdynamik verändert

  • usw.

Aber erst in der Vertiefung von Beziehung zeigen sich über Jahre die immer tieferen Schichten von Bindungstrauma.

Und nur in dieser Beziehung können sie mehr und mehr gelöst werden.

Die Frage an den Therapeuten kann also auch sein: Wie hatte sich Bindungstrauma in Ihrer Partnerschaft gezeigt und wie haben Sie es in jener gemeinsam gelöst?

Wenn der Therapeut alle Fragen zu deiner Zufriedenheit beantwortet, ist es wahrscheinlich, dass er dir helfen kann dein Bindungstrauma zu lösen, bzw. den Prozess mit dir initiieren wird.

Jetzt ist es nur noch wichtig darauf zu achten, dass der Traumatherapeut nicht einen der drei Hauptfehler begeht. Welche sind das? Das erfährst du in diesem Artikel hier.

Alexander Bohley

hilft Menschen aus Bindungs- und Entwicklungstrauma

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